Der Tod hat mich von Kindheit an beschäftigt und von da an leider das Fürchten gelehrt. Diese Furcht befällt mich noch heute immer wieder – und das nach knapp sechs Lebensjahrzehnten. Sie hat mich eigentlich nie verlassen, außer in den Momenten, in denen ich mich im schlechtesten Fall in die Arbeit oder eine Beziehung stürzte oder im besten Fall in etwas vertiefte, was mir ganz am Herzen lag.
Diese Todesfurcht hat ihre Wurzeln in der Todesfurcht meiner Mutter. War es bei ihr wirklich Todesfurcht oder eher eine grundsätzliche Furcht vor der Veränderung, deren endgültigste eben das Ende der Existenz in diesem Körper ist? Im Moment des Todes verliert der Mensch endgültig die Kontrolle über sein Leben. Diese Kontrolle bis zuletzt nicht abgeben zu können, verlängert aber womöglich die Todesqualen, nein, eigentlich erzeugt sie diese erst. Den der Tod muss keinesfalls qualvoll sein, denke ich.
Als ich 4 oder 5 Jahre alt war starben innerhalb weniger Wochen meine Großtante und mein Großonkel, mit denen wir in einem Haus gelebt hatten. Sie waren sogar die Eigentümer dieses Gründerzeithauses in Wien, in dem auch meine Großeltern mütterlicherseits lebten. Es war immer fein bei ihnen, es gab in ihrer wunderbar großen Wohnung für meine Schwester und mich, die wir mit unseren Eltern mit Zimmer und Küche auskommen mussten, jede Menge Besonderes zu entdecken. Der Verlust dieses Spielplatzes schmerzte ebenso wie der Verlust dieser beiden liebevollen Menschen. Schon einige Zeit vorher war meine Urgroßmutter, die mit ihrer Tochter (meiner Oma) und deren Mann (meinem Opa) in der Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung meiner Großeltern lebte. Das habe ich nicht so einschneidend in Erinnerung, sie war – soviel weiß ich noch – lange Zeit bettlägrig. Und irgendwie waren alle froh, dass sie mit knapp 90 dann ihre Ruhe fand.
Um diese außergewöhnliche Situation zu bewältigen, zeichnete ich auf alle möglichen Papiere – so unter anderem auf einen PSK-Erlagschein – die Gräber meiner Großtante und meines Großonkels, ich malte weinende Menschen und fügte meinen Lieblingszeichnungen von Postbussen weinende Wolken hinzu. In dieser Zeit war ich der Trauer ziemlich alleine ausgeliefert, denn die trauernden Erwachsenen waren sehr mit sich beschäftigt. Von den Verstorbenen erbte ich einen kleinen Teddybär, einen ewigen Kalender und einen Atlas der damaligen Welt. Das konnte meine Betroffenheit im Lauf der Zeit lindern.
Alljährlich zu Allerheiligen galt es die Friedhöfe zu besuchen. Meine „liebste“ Beschäftigung war das Errechnen des Lebensalters der Verstorbenen, in dem ich die Differenz zwischen dem Todes- und dem Geburtsjahr berechnete. Ich verglich das Alter mit meinem und errechnete wie viele Jahre mir noch blieben. Das hat sich so tief eingeprägt, dass ich diesen Tick bis heute nicht wirklich abgelegt habe. Das Ergebnis allerdings wird von Jahr zu Jahr beunruhigender.
Wie gerne würde ich meinen Frieden mit dem Tod machen.
Eine meiner „Maßnahmen“ mich mit ihm zu versöhnen, war die Ausbildung zum Begräbnisleiter in der römisch-katholischen Kirche, die einstmals eine gewisse Heimat für mich war – ehe ich deren Machtstrukturen und den ihnen innewohnenden Missbrauch entdeckte und sie fluchtartig verließ. Nach erfolgreicher Prüfung begleitete ich zahlreiche Begräbnisse, bei denen ich sehr oft von Schwindelgefühlen und Panik ergriffen wurde. Was mir - so die zahlreichen positiven Rückmeldungen zu diesen von mir geleiteten Ritualen – offenbar nicht anzusehen war; vielmehr fand ich scheinbar die richtigen Worte, um trauernde Menschen zu beruhigen und diesen zumindest für eine Weile Hoffnung und sogar Zuversicht zu geben, auch für ihren eigenen Tod.
Wie gerne würde ich meinen Frieden mit dem Tod machen.
So versuche ich es erneut, diesmal allerdings auf eine andere Weise. Nicht das gesprochene Wort zählt, sondern das geschriebene. Diese Kolumne ist beredtes Zeugnis davon. Ich hoffe, dass mir die Übung gelingt, diesmal nicht nur meinem Publikum die Todesfrucht zu nehmen, sondern endlich auch mir selbst.
Es ist ja völlig paradox, wenn nicht sogar vollkommen ver-rückt, sich das ganze Leben von etwas vermiesen zu lassen, was nicht zu verhindern ist. Das Leben will gelebt werden und nicht gefürchtet. Möge die Übung diesmal tatsächlich gelingen.
Der Titel meiner Kolumne ist dem den Gladiatoren zugeschriebenen Gruß „Morituri te salutant“ entlehnt, ich habe ihn in die Einzahl gewandelt, weil er wirksamer ist, wenn du und ich gemeint sind. Denn du und ich, also wir alle sind Todgeweihte, Sterbliche vom Anfang unserer Existenz an. Diese Tatsache verdrängen du und ich, alsowir lieber. Dazu haben du und ich, also wir eine ganze Menge verschiedenster Mechanismen entwickelt. Ihnen möchte ich in diesen kurzen Texten auf die Spur kommen, sie aufdecken und bewusstmachen. Wenn du und ich, also wir die Bewusstlosigkeit unserem eigenen Tod gegenüber verlieren, du und ich, also wir uns unserer Todesfurcht stellen, ihr quasi von Angesicht zu Angesicht begegnen, dann lässt sich das eigene Leben, deines und meines, aber auch jenes in den Gemeinschaften, in denen du und ich, also wir leben, wahrhaft lebenswert gestalten – für dich und mich selbst und all die anderen.
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