The show mustn’t go on
view[s] & perspective[s] #05 zur Regierungsbildung in Österreich
Kein „Weiter-so“ ist das Credo aller fünf wieder im Nationalrat vertretenen Parteien. Was sich aber nach den ersten Gesprächen der Parteichefs mit dem Bundespräsidenten und dessen nachfolgender Entscheidung, die drei Bestgereihten mit wechselseitigen weiteren Unterredungen zur Sondierung möglicher Regierungsvarianten zu beauftragen, zeigt, ist, dass es durchaus ein Mehr-vom-Selben geben könnte. Aber auch eine Regierungsbeteiligung der FPÖ ist kein Allheilmittel, denn auch sie ist durch ihre Teilhabe an Koalitionsregierungen in der Vergangenheit schon Teil eines politischen Systems, das dringend überwunden werden muss, geworden. Gibt es trotzdem Perspektiven?
Im Rahmen meiner Lernbegleitung von jungen Menschen zwischen 15 und 18 haben wir diese politische Situation in Österreich in den Sozialwissenschaftsstunden angesprochen. Ich gab ihnen dann den Rechercheauftrag, die Geschichte der Demokratie zu beleuchten. Bei der Präsentation der Zwischenergebnisse dieser Nachforschung sprach eine junge Dame von drei Formen der modernen Demokratie, nämlich der direkten, der repräsentativen und der liberalen. Österreich wähnt sich in letzterer, wie der Bundespräsident auch vor der Aufnahme der Parteiengespräche betonte. Um diese zu erhalten werde er bei der Vergabe des Regierungsbildungsauftrages genau darauf achten. Er zog diesbezüglich auch rote Linien. So seien EU-Mitgliedschaft, Medienfreiheit, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte nicht verhandelbar.
Liberale Demokratie bedeutet in der Theorie eine gesunde Mischung zwischen repräsentativer und direkter Demokratie. Das ist in Österreich tatsächlich am Papier, also gesetzlich, so geregelt. Neben der Wahl von Repräsentanten für die Bevölkerung in die jeweiligen Gemeinde-, Landes- und das Bundesparlament für einen festgelegten Zeitraum bestehen u.a. direktdemokratische Elemente wie die Möglichkeit für jeden Bürger zu Stellungnahmen bei Gesetzesvorlagen, dem Initiieren von und der Beteiligung an Volksbegehren oder der Mitwirkung an Volksbefragungen bzw. Volksabstimmungen. Betrachtet man hingegen die so genannte Realverfassung, dann werden die genannten Möglichkeiten direkter Beteiligung zwischen den Wahlen kaum genutzt bzw. haben diese selten tatsächlich Auswirkungen auf politische Entscheidungen.
Beispiele gefällig?
Die Flut an großteils negativen Stellungnahmen zu in der so genannten Coronazeit vorgelegten Gesetzesvorlagen wurden – weil den Veranwortlichen nicht genehm – etwa mit dem Stehsatz abgetan, dass gleichlautende Rückmeldungen nur einmal gezählt würden, worauf sich der Ansturm auf ein laues, leicht zu ignorierendes Lüfterl reduzierte.
Volksbegehren müssen ab einer bestimmten Unterschriftenzahl, nämlich einhunderttausend, im Nationalrat behandelt werden, was in der Regel so geschieht, dass diese Initiativen in einem parlamentarischen Ausschuss landen und viel zu oft dort verstauben. Dabei könnten diese zum einen tatsächlich einen Gesetzesentwurf von Parlamentariern, einer Volksbefragung zu einer entsprechenden Gesetzesvorlage oder sogar zu einer Volksabstimmung führen.
Eine bundesweite Volksbefragung, deren Ergebnis nicht bindend ist, fand in der 2. Republik tatsächlich erst einmal statt. Am 20. Jänner 2013 ging es um die Beibehaltung der Wehrpflicht und des Zivildienstes oder die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten sozialen Jahres. Auf die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht entfielen knapp 60 % der abgegebenen gültigen Stimmen.
Volksabstimmungen, an deren Ergebnis sich der Nationalrat halten muss, gab es in unserem Land immerhin schon zweimal. 1978 entschieden sich knapp mehr als 50% der Teilnehmenden gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie und schickten damit das bereits gebaute Atomkraftwerk in Zwentendorf noch vor dessen Endausbau und Inbetriebnahme in die Rente. Und 1994 sprachen sich knapp zwei Drittel derer, die sich an der Abstimmung mit einer gültigen Stimme beteiligten, für den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union aus.
Und das war’s auch schon. Dass da das Pendel gefühlt in Richtung repräsentative Demokratie, deren Volksvertreter nach der Wahl nur ihrem Gewissen aber nicht dem Wähler verpflichtet sind (dazu habe ich an anderen Stellen schon ausführlicher geschrieben), ausschlägt ist nicht verwunderlich. Und dass sich eine Partei wie die FPÖ genau dieses Gefühl auf die Fahnen heftet und daraus ein Wahlkampfthema machen kann, überrascht ebenso wenig. Wie wohl das nicht wirklich den Ausschlag für den Erfolg der Freiheitlichen gegeben haben wird, ein Mosaiksteinchen für den Sieg ist es aber allemal.
Im Weiteren möchte ich zum einen eine Analyse des Wahlergebnisses im Hinblick auf die Zahlen durchführen und daraus Schlüsse ziehen, danach die eine oder andere Perspektive eröffnen, wie es nun weiter gehen könnte.
Wer meinen Beiträgen zu diversen Wahlergebnissen schon in der Vergangenheit gefolgt ist, wird wissen, dass ich gerne eine von mir nach deren prominenten „Begründer“ benannten „Zahlenfreak-Analyse“ durchführe. Dabei beziehe ich alle Wahlberechtigten ein, gebe auch den Nichtwählern und den ungültigen Stimmen Gewicht und relativiere damit das Wahlergebnis umfassend – gleichzeitig passe ich es der Realität an. Und dieser Reality-Check ist es wert ernst genommen zu werden.
Gleich eines vorweg: der als fulminant bezeichnete FPÖ-Sieg und die im Gegensatz zum Wahlgang 2019 leicht höhere Wahlbeteiligung hat nicht dazu geführt, dass die Nichtwähler vom ersten Platz verdrängt wurden. Sie halten mit 22,3% der Wahlberechtigten noch einen knappen Vorsprung auf den Wahlsieger, der in dieser Berechnung auf 22,1% kommt.
Hier die weiteren, relativierten Werte:
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